Grenzüberschreitende Blicke:
Wahrnehmungen ›bewegender Körper‹
Andreas Niehaus und Uta Schaffers
»Zumindest können wir sagen, dass eine pronominale Haltung entscheidend dafür ist,
was vor uns erscheint – das Ding, welches wir sehen« (Hustvedt 2009, 241).
Abb. 1: Anette Busch in Japan (1920)1
1. Körper starker Frauen: Konfrontationen und Transgressionen
Am Anfang unserer Betrachtungen soll diese Photographie stehen (Abb. 1). Sie zeigt die estnische Ringerin und ›Starke Frau‹ Anette Busch (links; 1882–1969)2 sowie weitere, unbekannte Personen. Als Photographie hat sie einen hohen Präsenzeffekt und wirkt so grenzüberwindend, da sie eine Vergangenheit in die Gegenwart holt und uns vor Augen stellt – »von nun an ist die Vergangenheit so gewiß wie die Gegenwart, ist das, was man auf dem Papier sieht, so gewiß wie das, was man berührt« (Barthes 1985, 97). Als Zeitraum der Aufnahme wird das Jahr 1920 angegeben, als Ort Japan. Der Blick des/der heutigen BetrachterIn fällt auf eine Szene, in der die eingefrorenen Körper im Bildvordergrund eine kurz bevorstehende, explosive Konfrontation anzeigen – ihre spezifische Haltung sowie die Anwesenheit eines Kampfrichters in seiner markanten Bekleidung und Position verweisen zunächst recht eindeutig auf einen Kampf nach den Regeln des japanischen Sumo. Bei näherem Hinsehen mischen sich jedoch für heutige BetrachterInnen auch Irritationen in diesen ersten Eindruck. Sumo, bekannt aus den Medien oder auch durch den Besuch eines Turniers, wird gemeinhin wahrgenommen als ein Sport, der von Männern ausgeübt wird – auf der Photographie steht jedoch ein Kampf zweier Frauen bevor. Auch weitere Attribute scheinen nicht recht zu ›passen‹: Die Frisur Anette Buschs, die nicht den zu erwartenden Haarknoten aufweist, und ihre deutlich nicht-japanische Herkunft markieren Abweichungen. Weiterhin bedecken beide Frauen große Teile ihrer Körper (Anette Busch trägt sogar Schuhe, Hose und Hemd), während männliche Sumokämpfer bis heute nur mit einem Ringerschurz (mawashi) bekleidet sind; auch der Ort des Kampfes ist eher ungewöhnlich. Drei weitere Personen – in der oberen Hälfte des Bildes, etwas im Hintergrund und die Kämpferinnen gewissermaßen überschauend – bevölkern die Photographie: Rechts befindet sich ein Japaner in traditioneller Kleidung, links hinter Annette Busch ein Mann (ein Europäer oder Amerikaner) in formeller westlicher Kleidung. Dazwischen steht der an seiner Kleidung, seiner Körperhaltung und weiteren Attributen (z.B. Fächer) erkennbare Kampfrichter (gyōji), der das entscheidende Signal zum Beginn des Kampfes andeutet.
Die aufgenommene Szene irritiert in mehrfacher Hinsicht spezifische Wahrnehmungsmuster und unterliegt als Bild einer eigentümlichen Raum- und Blickordnung: Es inszeniert in seinem Aufbau kulturelle, nationale und epochale sowie genderspezifische Grenzen und gleichzeitig deren (auch kurz bevorstehende) Überschreitungen. Eine Grenzlinie zieht sich vertikal durch das Bild und teilt es in einen westlichen (links) und einen japanischen (rechts) Raum sowie – zunächst – in Moderne und Vormoderne, repräsentiert durch die Personen, ihre Kleidung und ihre Attribute. Die Blickordnung der Personen auf der Photographie bestätigt diese Linie, durchkreuzt sie aber auch. Im Bildvordergrund fixieren sich die Ringerinnen in der von den Regeln des Sports geforderten Pose und Weise, links Westen, rechts Osten. Im Bildhintergrund stehen die Männer, aufrecht. Der Japaner rechts scheint die gesamte Szene zu betrachten, seine Rolle ist undeutlich; der Kampfrichter blickt zwischen die Ringerinnen. Er markiert mit seinem Körper die Achse. Der Mann im linken Bildhintergrund wiederum blickt in seine geöffnete Hand. Hier sei eine Spekulation erlaubt: Vielleicht betrachtet er ein Geldstück, vielleicht ein Insekt. Die gesamte Szene evoziert jedoch den Gedanken, dass es sich hierbei um eine Uhr handelt. Auch wenn die Photographie das Transitorische der Zeit negiert und den Moment festzuhalten scheint – »Die Photographie bietet ein Raumkontinuum dar; der Historismus möchte das Zeitkontinuum erfüllen« (Kracauer 1990 [1927], 3) –, so gehören doch die prägende Erfahrung von Flüchtigkeit und Beschleunigung sowie die objektivierende Zeitmessung zum Signum der Moderne,3 was auch folgenreiche Auswirkungen auf die Konzeption des modernen Sports hatte. So schreibt etwa Walter Benjamin im Jahr 1935/6:
Grundlage des Sports bildet ein System von Vorschriften, das menschliche Verhaltensweisen in letzter Instanz der Messung durch die elementaren physikalischen Maßstäbe zuführt: der Messung nach Sekunden und Zentimetern […]. Die alte agonale Form verschwindet zusehends aus der modernen Sportübung […]. Damit ist der zeitgemäße Standort der Sportübung festgestellt. Er löst sich vom agonalen [sic!] ab, um die Richtung des Tests einzuschlagen. Dem Test in seiner modernen Gestalt ist nichts geläufiger, als den Menschen an einer Apparatur zu messen. (Benjamin 1974 [1935/6], 1039)
Der Gedanke, dass der Blick des Mannes sich auf eine Uhr richtet, ist vor diesem Hintergrund zumindest nicht ganz abwegig und markiert eine – in der Entwicklung des modernen Sports in Japan zur Zeit der Aufnahme bereits überschrittene – Grenze zwischen der vormodernen Form der Ausübung des Sumo und einer Modernisierung und Sportifizierung auch traditioneller Kampfkünste (bugei).4 Im kulturhistorischen Kontext betrachtet, verweist bereits die Kleidung der Kämpferinnen (auf dem Bild die der japanischen Kämpferin) auf einen Schritt hin zur Sportifizierung und mithin zu einer modifizierten Form der Wahrnehmung von Frauen, die diesen ›Sport‹ ausübten: Frauen-Sumo (onna-zumō) wurde in der Frühmoderne5 in Japan auch als erotisches Spektakel (misemono) mit spärlich bekleideten Kämpferinnen und Performerinnen aufgeführt, die auch gegen (oft blinde) Männer antraten und mitunter wenig verhüllende Kampfnamen wie Große Brüste (Chichigahari), Bezwingerin der Bälle (Tamanokoshi) oder Tiefes Loch (Anagafuchi) trugen.6 In den 1920er Jahren, also zum Zeitpunkt, in dem die Photographie entstand, hatte sich dann das Tragen eines Trikots mit knielangen Boxershorts7 bereits eingebürgert. Die Kämpferinnen trugen einen ichōkaeshi (Ginkgoblatt) genannten Frauen-Zopf (onnamage), der sich am Zopf der männlichen Kollegen (ōichōmage) anlehnte. Anders als ihre männlichen Kollegen trugen die Frauen vor ihren Kämpfen aber Rouge (kōfun) auf (vgl. Ikkai 2013, 48f.). In der Moderne wurden die in Tempeln sowie in Vergnügungsvierteln und Bordellen ausgetragenen Kämpfe zunehmend aus dem Kontext der erotischen Geschäftsanbahnung herausgelöst, und Kämpfe von Frauen gegen Männer wurden bereits 1873 untersagt – wobei die Gesetze und deren Einhaltung gerade außerhalb der Zentren wohl wenig befolgt und nur selten verfolgt wurden.
Über Annette Busch heißt es in den vorliegenden Quellen,8 dass sie ausschließlich gegen männliche Ringer gekämpft habe: »Being in Japan, Anette […] mastered in sumo. Her opponents were only male wrestlers, whom she stroke with awe by her solid build (130kg) and perfect wrestling techniques.«9 Es wird deutlich, dass diese Aussage nicht etwa als Erotisierung der Kämpfe Buschs zu verstehen ist, sondern als eine Form von Radikalisierung der Sensation und Kuriosität ›Starke Frau‹.10 Entsprechend ist auch die Bildunterschrift unter der Photographie einzuordnen: »1920s. Japan. 265-pound Sumotori Anette Busch (left) staggers not only her male opponent but even the male spectators out of the dohö [wohl: dohyō]« (https://www.fscclub.com/history/fame-strong‑e.shtml). Dass es sich hier – die japanische Kämpferin wird nicht als Frau identifiziert – um einen Wahrnehmungs-Irrtum handelt, der nicht nur aus dem spezifischen Kontext Sport resultiert, sondern auch aus der Spezifik cross-kultureller Blicke, wird noch zu zeigen sein. Im Bild und in den Kommentaren zum Bild werden jedoch nicht nur Geschlechterfragen verhandelt, sondern es klingen auch weiterführende Verhandlungen von Dominanz an: Es messen sich Nation, Kultur, Körper und Körpertechniken. Zunächst einmal ist es offensichtlich, dass es sich bei dieser Photographie um eine Inszenierung, eine »staged authenticity« (MacCannell 1973) handelt.
So findet der Kampf weder im Ring statt, noch auf einer Bühne, noch ist überhaupt eine Markierung der Kampffläche zu erkennen, die für die Ausübung des Sumo jedoch konstituierende Bedeutung hat. Darüber hinaus kann die Gegenüberstellung von – in der Regel männlichen – japanischen Ringern und westlichen Seeleuten oder Kämpfern in einer ikonographischen, einer Inszenierungs- und Bildtradition verortet werden. Nach der Ankunft der Schiffe Commodore Perrys in Japan (1853/1854), die eine Öffnung der japanischen Häfen für den Handel mit westlichen Nationen erzwingen sollten, wurde die Thematik der Konfrontation zwischen westlicher Moderne sowie modernen westlichen Körpern und Körpertechniken mit japanischer ›Tradition‹ sowie vormodernen Körpern und Körpertechniken in Holzdrucken aufgegriffen und bearbeitet. Die Kraft der japanischen sumōtori wird auf diesen Bildern nicht allein über Muskeln, sondern vor allem auch über die Betonung des Bauches angezeigt. Die Darstellungen sollten für die Betrachtenden des Meiji-zeitlichen Japan (1868–1912) eine Wandlung des als unterlegen empfundenen japanischen Körpers und Nationalkörpers in einen überlegenen suggerieren.11
Abb. 2: Yoshifuji: Yokohama homare (no) shōbu zuke (1861)
Auftritte ›Starker Frauen‹ waren auch im Japan der Vormoderne populär und wurden mit Frauen-Ringkämpfen verbunden. In der Moderne entstanden dann, besonders in den Provinzen, auch Frauen-Sumo-Truppen, die durch das Land zogen und neben Sumo auch Kraftübungen zeigten sowie Tänze und Lieder.12 Im Westen gehörten ›Starke Frauen‹ in den (diskursiven) Raum von Spektakel, Attraktionen und des Staunens,13 sie wurden ausgestellt und waren zu sehen auf Jahrmärkten, in Varietés und Circus Shows (und auch die Photographie ist auf dem Jahrmarkt »heimisch«, wie Walter Benjamin schreibt; vgl. Benjamin 1977, 47). Die Estin Anette Busch trat denn auch in Japan keineswegs nur als Ringerin in Erscheinung, sondern vor allem als ›Kraftfrau‹ oder ›Starke Frau‹, wie eine in der Morgenausgabe der Yomiuri Zeitung vom 19. April 1925 geschaltete Werbung deutlich macht. Hier wird der Auftritt Buschs im Ring des berühmten und heute vor allem berüchtigten Yasukuni-Schreins in Tokyo, in dem bereits Ad Santel und Henry Weber 1921 Kämpfer des Kōdōkan Judo herausgefordert hatten, als Show angekündigt, in der den Zuschauern versprochen wird, Zeugen der gefährlichen übermenschlichen Kraft (bōkenteki ōkairiki/ōkairyoku) der kräftigsten Frau der Welt zu werden, die nicht nur gegen einen Bullen kämpfen, sondern auch zwei Autos zum Stoppen bringen wird. Westliche Frauen mit ›übermenschlichen Kräften‹ (kairiki) – wobei noch zu klären bleibt, warum die Kraft Buschs nun ›gefährlich‹ oder ›abenteuerlich‹ (bōkenteki) ist –, waren dabei durchaus keine Neuigkeit in Japan, und die Performance Buschs konnte etwa an die Annie Abbotts anschließen, die einen regelrechten Boom in Japan ausgelöst hatte. Annie Abbott (Little Georgia Magnet, eigentlich Dixie Annie Jarratt Haygood, 1860–1915; vgl. Harrington/Harrington 2005) war im Jahr 1895 nach Japan gekommen, um ihre Kräfte zu zeigen, und trat während ihres Aufenthalts in Tokyo sogar vor dem Kronprinzen auf.
Tatsächlich waren Frauen-Sumokämpfe noch immer keine Selbstverständlichkeit, und noch 1926 wurde Frauen-Sumo erneut verboten, nachdem bei einer Show in Asakusa (Tokyo) ein männlicher Zuschauer spontan gegen eine Ringerin antrat.14 Hier wird noch einmal deutlich, dass kämpfende Frauen eine Grenzüberschreitung darstellten (und auch noch darstellen); nicht zufällig trägt KAMEI Yoshies Monographie zum Frauen-Sumo den Untertitel Grenzüberschreitende Schaukunst (Ekkyō no geinō; 2012). ›Grenzüberschreitend‹ wird hier im Sinne eines »Überschreitens gesellschaftlicher Normen oder eines umgekehrten Verhaltens (gyakuten suru eii)« verwendet (Kamei 2012, 11), wobei das japanische Wort ekkyō (Grenzüberschreitung) beikommend die Konnotation einer illegalen Überschreitung oder einer Grenzverletzung beinhaltet.
Abb. 3: Anette Busch in Japan 15
Auf der Photographie, die Anette Busch als berühmte und hochgeschätzte Ringerin und ›Starke Frau‹ in Japan zeigt (Abb. 3), wirft sie dann den Blick auf uns zurück. Auch dies gehört zur Blickordnung und ‑konstellation von Photographien ebenso wie der Blick durch die Kamera, der den Ausschnitt wählt, der sich uns Betrachtenden dann darbietet, sowie unser Blick als Betrachtende. Bilder zeigen, aber unser Blick, die Praxis des Sehens, ist eine sozial und kulturell determinierte, eine verkörperte Handlung, was nach Donna Haraway ausdrücklich auch Instrumente und Technologien, die den menschlichen Blick verlängern, einschließt: »I would like to insist on the embodied nature of all vision, and so reclaim the sensory system that has been used to signify a leap out of the marked body and into a conquering gaze from nowhere. […] The eye of any ordinary primate like us can be endlessly enhanced by sonography systems, […] satellite surveillance systems, home and office VDTs, cameras for every purpose…« (Haraway 20022, 677). Dieses Bild (Abb. 3) und das Beispiel einer Anette-Busch-Postkarte (Abb. 4; Vorderansicht), die in Japan Verbreitung fanden, zeugen von Wertschätzung, aber auch von dem Sensationswert, den diese Europäerin als ›Starke Frau‹ und Ringerin, durch ihre Körperlichkeit und ihre sportliche Körperpraxis in Japan erhielt und hatte.
Abb. 4: Postkarte Anette Busch; Vorderansicht. Beschriftung (in Teilen): »Eine internationale Schönheit von übermenschlicher Kraft, Anette Busch, 35 Jahre, Gewicht 40 kan (150 kg), Sapporo« 16
Der Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist damit eingeführt. Wir betrachten – exemplarisch und punktuell – Wahrnehmungen ›bewegender Körper‹ in der cross-kulturellen Perspektive Japan-Deutschland. Solche grenzüberschreitenden Blicke materialisieren sich u.a. in Bildern (siehe oben) und in Texten, die wir im Folgenden genauer in Augenschein nehmen und mit den Bildern in Beziehung setzen wollen. Die Zugriffe und Perspektiven resultieren aus den am Projekt beteiligten Disziplinen (germanistische Literaturwissenschaft und Japanologie). Geleitet werden sie durch die Forschungsschwerpunkte des Autors/der Autorin (japanische Sportgeschichte und Körperkultur sowie Reiseliteraturforschung).17
2. Körper anderer Frauen: ›Eräugnisse‹ und Irritationen
Blicke auf Andere finden in der Regel unter den Blicken Anderer statt – Wahrnehmende werden wahrgenommen. Isabella Bird (1831–1904), die im Jahr 1878 etwa ein halbes Jahr durch Japan reiste – »I lived among the Japanese, and saw their mode of living« (Bird 2000 [1880], xix) – wurde von denen, die sie sah und beschrieb, auch selbst gesehen und angesehen:
I took my lunch […] in a yard, and the people crowded in hundreds to the gate, and those behind, being unable to see me, got ladders and climbed on the adjacent roofs, where they remained till one of the roofs gave way with a loud crash, and precipitated about fifty men, women, and children into the room below which fortunately was vacant […]. The Transport Agent begged them to go away, but they said they might never see such a sight again! One old peasant said he would go away if he were told whether ›the sight‹ were a man or a woman, and, on the agent asking if that were any business of his, he said he should like to tell at home what he had seen (ebd. [21. Juli 1878], 146).
Die Irritation, die hier formuliert wird, ist nicht ungewöhnlich. Zunächst einmal gehörte weibliche Mobilität, gehörten Reisen – wohlgemerkt in als exotisch und fern erfahrene Gebiete – im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Westen, aber auch in Japan (vgl. Noda 2010), zu den normabweichenden Tätigkeiten für (v.a. allein reisende) Frauen. Ein solcher ›Anblick‹ war mithin ein Erwartungsbruch, was von den weiblichen Reisenden einiges an Selbstbewusstsein und Widerstandskraft forderte (vgl. Stamm 2018). Strategien von Verhüllen und Enthüllen im Reisen und Reiseschreiben (im Sinne von Camouflage, Maskerade und spielerischer gender performance)18 erlaubten es, bestimmte Grenzen zu dehnen und zu transgredieren, was in der Folge nicht selten zu Irritationen und Wahrnehmungsunsicherheiten sowie zu Verhandlungen im Hinblick auf Geschlecht und Geschlechtsidentität führte. Darüber hinaus befand sich Isabella Bird im Juli 1878 relativ weit im Norden Japans, wo der Anblick westlicher Reisender noch nicht zum Alltag gehörte und mithin ein ›Eräugnis‹ darstellte.19 Ihre grenzüberschreitende Mobilität – wohlgemerkt zu Pferd – sowie ihre westliche Herkunft machten es dem Bauern schwer, das Gesehene für sich sowie die Vermittlung seiner Erfahrung einzuordnen. Da ihm seine Wahrnehmungsgewohnheiten auf seine dringende Frage keine Antwort boten, bestand er auf sein Recht, zu ›wissen‹.20 Auch für frühe Meiji-zeitliche japanische Reisende (durchgehend männlichen Geschlechts) nach Europa und in die Vereinigten Staaten gaben die ›Sichtungen‹ von und Begegnungen mit Frauen Anlass für mancherlei Verwirrung, was jedoch in der Regel auf den ungewohnten Umgangsformen der Geschlechter untereinander beruhte.21
Ebenso wie der mobile Körper weiblicher Reisender Anlass zu Irritationen gab, evozierte der weibliche sporttreibende Körper Irrtümer und Wahrnehmungsirritationen bei Reisenden. Die Wahrnehmung der Körper der Anderen, der anderen Körperpraxis und Körpertechniken (als fremd) war für Japanreisende im 19. und frühen 20. Jahrhundert historisch, kulturell und medial stark präfiguriert.22 Die Erwartung der Differenzerfahrung ist fester Bestandteil der Präfigurationen, und die damit verbundenen Schemata, Darstellungsstrategien und Inszenierungen sind topisch, evaluierend und gehören zu den Gattungskonventionen des Reiseschreibens über Japan; insofern ist diese (als solche vermittelte) Differenzerfahrung eigentlich gar keine. Die exotisierenden Imaginationen im Hinblick auf den Körper und die Körperpraxis der japanischen Frau etwa waren schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts festgeschrieben. Sie basierten auf und bestanden aus – im Übrigen bis heute wirksamen – Formen und Verflechtungen von Sexismus, Rassismus und Fremdstellung sowie einer recht ungesunden Verbindung von Misogynie, Überhöhung und Begehren. Häufig finden sich paradoxale Beschreibungen, die auf Ent-Körperlichung und Verkindlichung bei gleichzeitiger Zuschreibung einer – für den westlichen Mann auch bedrohlichen, mystifizierten – Sinnlichkeit beruhen. Sinn-Bild und Personifikation dieser medialen Imagination war und ist die japanische Geisha.23 Die zu diesem Sinn-Bild gehörige Kleidung, der Kimono, gab dem Körper eine einprägsame Silhouette und erforderte bestimmte, vestimentär geprägte Körpertechniken, die von den westlichen männlichen Betrachtern als deutlich einschränkend für die Beweglichkeit gewertet und ebenso deutlich goutiert wurden.24 Beobachtungen, Darstellungen und Inszenierungen japanischer Sportlerinnen und Kämpferinnen müssen also im Verhältnis zu dieser erwarteten Differenz als eigentliche Differenzerfahrung und ‑bearbeitung gewertet werden – entsprechend finden sich mit hohem rhetorischem Aufwand gestaltete Beschreibungen und Kommentierungen solcher ›bewegender Körper‹.
3. Körper kämpfender Frauen: Unordnung und Ordnung
Max Dauthendey (1867–1918), ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener Autor, kam im Verlauf seiner ersten Weltreise am 23. April 1906 in Nagasaki an, bereits am 24. Mai verließ er das Land am Hafen von Yokohama.25 Am 29. April 1906 schreibt er in einem Brief an seine Frau: »Heute soll ich Jiu-Jitsu sehen, das sind die berühmten geheimnisvollen Ringkämpfer, die mit einem Finger einen Mann töten« (Dauthendey 1930, 149). Was er dann offenbar zu sehen bekam, ist in der Reisebeschreibung Die geflügelte Erde. Ein Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere (1910) verarbeitet. In diesem nicht unangestrengten epischen Gedicht in freien Langzeilen, das stark exotisierend einzelne Stationen seiner Weltreise ›besingt‹, finden sich zwei bemerkenswerte Kapitel, die sich mit ›bewegenden‹, mit sporttreibenden und kämpfenden Körpern auseinander setzen. Das erste Kapitel trägt die Überschrift »In der kaiserlichen Dschiudschitsu-Schule in Kioto« (ebd., 356ff.). Hier kündigt sich, auch für die Lesenden, wiederum ein ›Eräugnis‹ an: »Glaubst du auch, du hast alles gesehen, werden dir immer noch die Augen aufgehen« (ebd., 356) – neben den Augen ›gehen‹ dem Reiseschreiber dann aber zunächst vor allem die ›Ohren auf‹. Entgegen seiner Erwartung, dass sich die »Fechtakademie« in einem kleinen Saal befindet und sich dort ein »paar Kämpfer« tummeln (ebd.), wird er vom »Rikschafahrer«, dem er Trunkenheit unterstellt, zu einem prächtigen Gebäude gebracht, das ihm wie ein Tempel anmutet. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei dem Gebäude um die Butokuden (Halle der Kriegerischen Tugenden) der Dai Nippon Butoku Kai in Kyoto handelt. Zu diesem Erwartungsbruch gesellt sich nun ein Höreindruck, der ihn vollends verwirrt. Er hört die Schreie kämpfender »Bestien«, die tödliche Kämpfe miteinander ausfechten, Jaguare, Tiger, Panther, auch Pferde, Papageien und Hähne hört er Laute ausstoßen, die ihm den Eindruck vermitteln, »dass man den zoologischen Garten durchquert«, in dem sich die Tiere gerade gegenseitig massakrieren (ebd., 357). Das Zurückgreifen auf den Bildbereich Tiere und Zoo ist in Reiseliteratur aus dieser Epoche nicht ungewöhnlich und gehört zu den überlieferten Topoi des (kultur-)imperialistischen und rassistischen Diskurses. Dennoch: hier wird mit großem rhetorischem Aufwand eine Soundscape kreiert26 (und im Verlaufe des Kapitels immer wieder variiert), die recht eindrücklich ist und nicht zuletzt der Spannungssteigerung, dem Etablieren eines Rätsels und seiner sukzessiven Enthüllung dient, wie es auch der Beginn des Kapitels ankündigt: »[es] wird sich dir wie in einer japanischen Schachtel / Immer ein neues Schächtelchen zeigen« (ebd., 356). Entsprechend enthüllt sich dem Reiseschreiber und mithin den Lesenden folgendes Bild:
Die Menschen, die vor mir wie Bestien hüpfen, die sich wie Kampfhähne gesträubt anschauen, sind, wenn sie die lackierte schwarze Fechtmaske lüpfen, – / Junge, adelige Mädchen, junge Samuraifrauen; unmöglich zu glauben: dieses Wutschnauben, dieses Hähnekrähen, diese Bestienschreie / Entschlüpfen der Reihe nach den Kehlen japanischer Damen, und diese Muskeln, die sich vor mir im Speerkampf stählen, sind Frauenglieder; – / […] die, kaum zu zähmen, ihre Masken endlich abnehmen von den erhitzten Gesichtern und den Schweißdampf abwischen, / […] diese kleinen Krieger sind japanische Frauen, in Bein- und Armschienen und waffenstarrend zu schauen (ebd., 358).
Es ist vor allem die Tatsache, dass es sich um Kehlen, Muskeln und Glieder, erhitzte Gesichter und den »Schweißdampf« von Frauen – hier ausdrücklich auch als »adelige Mädchen, junge Samuraifrauen«27 und als »Damen« bezeichnet – handelt, weshalb der Reiseschreiber seinem Erstaunen und seinem Unglauben kaum genug Ausdruck verleihen kann, weshalb hier wohl auch zum Mittel der Fragmentierung des Körpers gegriffen wird. Es wird noch zu zeigen sein, dass die Körper sporttreibender Frauen, die einer anderen Gesellschaftsklasse angehören, andere Wahrnehmungs-Eindrücke beim Reiseschreiber hinterlassen.28 Der Bericht widmet sich im Weiteren ausführlich den mit dem Speerkampf (naginata) verbundenen Körpertechniken. Auch in der Tradition der japanischen Kampfkünste, die für Frauen starre Grenzen setzte, ist der Speerkampf eine Ausnahme, da er ab der späten Edo-Periode vor allem als Kampfkunst für Frauen gesehen wurde und dann in der Meiji-Zeit neben dem Bogenschießen zu den wenigen Kampfkünsten gehörte, die Frauen und jungen Mädchen zugänglich waren.
Am Ende des Kapitels wird diese irritierende Erfahrung vom Reiseschreiber dann in einen weiteren, im Jahr 1906 noch aktuellen und auch in den Folgejahren wichtigen (macht-)politischen Diskurs überführt, der Japan, die Japaner und nun auch die Japanerinnen als kriegerisch präsentiert. Interessanter Weise werden hier jedoch keine modernen, sondern vormoderne Formen und Bilder des Kampfes evoziert: Die Sportlerinnen »zeigten Mut und Dolchmesser, die gern dem Landesfeind das Herzblut tranken. Mann und Frau, in einem Saal vereint, / Übten in den Kampfkleidern die Waffenkraft, die dem Hausherd den Frieden vor Neidern schafft« (ebd., 360). Inwiefern diese Erfahrungen nun mit den tradierten westlichen Imaginationen der japanischen Frau in Konflikt stehen, zeigt sich dann in den gelinde gesagt merkwürdigen Abschlussversen des Kapitels, in denen auch der Mythos von den Amazonen wieder anklingt:29
Ich seh’ noch in mancher Stunde im Geist die kämpfenden, schwarzmaskierten Frauen, / Versteckt in die lederne Panzerbrust, die runde, und vermummt wie Seehunde, aufeinander hauen. Seit diesem Frauengefecht hat mich vor Japan ein Grauen erschreckt, / Als hätt’ ich ein neues Liebesgeschlecht auf einem andern Stern entdeckt (ebd., 360).
Einige Kapitel später (ebd., 381ff.) scheinen diese Bilder der kämpfenden Frauen dann schon nicht mehr vor seinem inneren Auge zu stehen. Der Reiseschreiber beschreibt hier Eindrücke aus Tokyo, wo er Zeuge einer Machtdemonstration des japanischen Staates wird, der sich als moderne und siegreiche kriegsführende Nation präsentiert.
Am nächsten Morgen fand ich auf den Paradeplätzen inmitten der Stadt, / Ausgebreitet gleich ungeheuren Schätzen, Tausende schwarze Kanonenreihen und Stahlgeschosse zu Haufen aufgestellt im Freien. / Siegestrophäen von Port Arthur. Die russischen Kanonenungeheuer ließ man das Volk wie getötete Bestien sehen (ebd., 382).
Alles deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine der zahlreichen und im ganzen Land abgehaltenen Feierlichkeiten anlässlich des Sieges im Japanisch-Russischen Krieg (1904/05) gehandelt hat. In Tokyo etwa fanden ab November 1905 verschiedene Zeremonien am und im Yasukuni-Schrein statt, die der Verehrung der Seelen der gefallenen Soldaten dieses Krieges galten.30 Der Höhepunkt dieser verschiedenen Festlichkeiten war zwischen Ende April und Anfang Mai 1906, also zum Zeitpunkt, als sich Max Dauthendey in Japan aufhielt. Auf dem Aoyama-Exerzierplatz nahm der Kaiser am 30. April in einer Kutsche zunächst eine Parade von 17 Divisionen (mehr als 30.000 Soldaten) ab. Anschließend marschierten die Divisionen in einer Siegesparade durch Tokyo, wobei die ersten Soldaten der Parade den Exerzierplatz um 13 Uhr verließen und die letzten erst um 18 Uhr aufbrechen konnten (vgl. Fujitani 1998, 137). Bereits ab dem 26. April wurde vor dem Kaiserlichen Palast von den Russen erobertes Kriegsgerät ausgestellt.31 Die nationale Zeitung Yomiuri Shimbun berichtet dann auch von einem Besuch der Ausstellung durch den Kaiser sowie die Kaiserin.32 In der englischsprachigen Japan Weekly Mail vom 5. Mai 1906 wird die Ausstellung wie folgt beschrieben: »unquestionably a spectacle altogether without precedent in the history of the world […] nor is anything of equal magnitude and interest likely to be ever seen again« (zit. n. Fujitani 1998, 135). Dieser spektakulären Zurschaustellung von nationaler und militärischer Macht, moderner Kriegsführung und Stärke wird im poetischen Reisebericht viel Raum gegeben.33 Die sich anschließenden »Gedanken« (ebd. 384ff.) können als Versuch der ›Versöhnung‹ der (vormodernen) westlichen Imaginationen von Japan und ›den Japanern‹ mit dem überwältigenden Wahrnehmungseindruck gelesen werden. In diesem Akt wird auch die v.a. in und aus der Imagination vertraute (und offenbar ersehnte) vormoderne Geschlechterordnung schreibend wiederhergestellt. Die Kämpferinnen, die dem Reiseschreiber noch etwa 20 Seiten vorher Ohren und Augen auf- und übergehen ließen, sind verschwunden und die Frau wird dem Schutz der – aller – Männer überantwortet:
Die Liebe zum Herde treibt jeden Mann zum Verteidigen seiner Heimat an. / Und die Liebe zum Herde ist die Liebe zum Weib, das, wehrlos auf der Scholle Erde, sich nicht verteidigen kann. –– / Ich sah immer wieder diese winzigen japanischen Frauen an, von denen jede nur lächeln und nicht viel reden kann, / Die herantrippeln auf ihren Holzsandalen; auf dem Rücken trägt jede ein Kind, dem sie zulächeln. / Und sie gehen unter Bücken, demütig und emsig, dem Geliebten zu nützen (ebd., 385).
Damit ist die Irritation, die durch die, die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft überschreitenden, ›bewegenden Körper‹ ausgelöst wurde, sowohl mitgeteilt als auch durch dieses – einerseits auf Japan bezogene, andererseits universell angelegte – Sehnsuchtsbild bearbeitet; eine Störung ist eben nicht immer Ausgangspunkt von Aushandlung und Entwicklung, weder gesellschaftlich, noch literarisch.34
Auch bei prosaischeren Zeitgenossen finden sich merkwürdig anmutende Bearbeitungen von Eindrücken, die die eigenkulturelle Geschlechterordnung und die präfigurierten Fremdbilder herausfordern. Eduard Wildhagen (1890–1970), ein Mann, dem man sicherlich keine poetischen Ambitionen beim Verfassen seines Buches In Japan. Erfahrungen und Erlebnisse (1929) nachsagen kann, war von 1923–1926 Lektor für Deutsch an der Hochschule von Okayama.35 Wildhagen hatte großes Interesse am japanischen Unterrichtssystem sowie an japanischen Kampfkünsten und Sport; er widmet »Jujitsu, Fechten, Bogenschießen« ein ganzes Kapitel (ebd., 121–146), in dem er auch seine eigenen Erfahrungen beim Erlernen des Judo36 schildert. Seine Beschreibungen japanischer Frauen sowie der Geschlechterverhältnisse in Japan gründen zwar auf den üblichen Stereotypisierungen und Bildern, der Ton ist jedoch weitaus sachlicher und berichtender, manche Imaginationen werden mit Sarkasmus (und teils auch im Sinne ›rassekundiger‹ Körper-Observationen) in Frage gestellt. In seinen Ausführungen zu »Mädchen und Frauen« (ebd., 113ff.) widmet er sich v.a. der Erziehung an einer benachbarten »Töchterschule, in der die vornehmen jungen Damen der Stadt nach modernsten Grundsätzen gebildet […] werden«. (ebd., 113) Der grenzüberschreitende Blick des westlichen Mannes richtet sich evaluierend auf die Körper und Körpertechniken der Mädchen, ihre Kleidung, Hygiene und Gesundheit sowie die Entwicklung all dieser. Auch der Sport, der auf dem Schulhof ausgeübt wird, ist Gegenstand seiner Betrachtungen:
Nach jeder Stunde stürmt alles bis auf den letzten Jahrgang, der durch die Kleidung behindert ist, auf den Schulhof zu Freiübungen. Alle möglichen Systeme von Jahn und Eiselen bis zu Jacques Dalcroze werden nach dem Takte der Musik ausgeprobt. Toujours dernier cri! Dieselben Mädchen, die im Gebrauch des Militärgewehrs unterrichtet werden, müssen kühne Ballettsprünge üben, um durch Kunstbeflissenheit sich den schmetterlingshaften Elfenschritt anzueignen, den man den Japanerinnen sehr zu Unrecht andichtet (ebd., 114).
Leibesübungen an den Höheren Bildungseinrichtungen standen in diesen Jahren noch im Zeichen des ersten Kompendiums für schulische Leibesübungen (Gakkō taisō kyōju yōmoku) von 1913, das sich schwerpunktmäßig auf die Schwedische Gymnastik stützte, sie sahen aber auch Drill, sowie Fechten und jūjutsu vor. Mit diesem Kompendium wurde auch Mädchen und jungen Frauen zum ersten Mal der Zugang zu militärischen Drillübungen gestattet (Kimura 1978, 71).37 Es ist dann auch v.a. die wehrsportliche Erziehung und die Ausbildung der jungen Frauen am Gewehr, die Wildhagen etwa 20 Jahre nach Dauthendeys Reise in Japan nachhaltig beeindruckt und die er ins Verhältnis setzt zu den Normierungen und Formungen der weiblichen Körper und Körpertechniken im Sinne der gängigen Geschlechterbilder. Dies löst bei ihm, dessen Blick nüchterner ist als der des Reiseschreibers in Dauthendeys Werk, jedoch keine allzu großen Irritationen aus, auch werden keine vormodernen Sehnsuchtsbilder re-konstruiert. Vielmehr scheint er eine cross-kulturelle ›Übertragungsleistung‹ anzustreben, die die von ihm offenbar als solche konstatierten Defizite in der körperlichen Erziehung deutscher Mädchen und Frauen kompensieren könnte:
Wenn in Japan die Schülerinnen höherer Lehranstalten neuerdings im Gebrauch des Militärgewehrs unterwiesen werden und bei Schießübungen selbst ergraute Krieger aus dem Felde schlagen, so wäre den deutschen Mädchen im Bogenschießen ein Äquivalent zu gönnen, das in seiner harmonischen Bewegung und mit seinen schönen Stellungen von günstigem Einfluß auf Haltung und Entwicklung von Mädchen und Frauen sein dürfte (ebd., 145f.).
Wildhagens Bericht enthält auch einige Zeichnungen und Photographien und auch der japanische Sport ist mit drei Abbildungen repräsentiert. Auf keinem dieser Bilder sind sporttreibende Frauen zu sehen. Neben Kendo, Kyudo (ebd., 160/161) und Judo (ebd., 144/145) gibt es auch eine Photographie dreier sumōtori (ebd., 320/321). Hier wird ein fundamental anderes Sumo gezeigt als auf der zu Beginn dieses Artikels besprochenen Photographie (Abb. 1), die etwa zum gleichen Zeitraum, in den 1920er Jahren, entstanden ist.
Abb. 5: Sumo-Ringer; Szene einer dohyō iri-Zeremonie. 38
Die Szene zeigt im Zentrum einen Sumo-Ringer im Range eines Yokozuna (höchster Rang), was am zeremoniellen tsuna (Seil) erkennbar ist, das über der keshō mawashi (zeremonieller Seidenschurz) getragen wird und dem Yokozuna-Rang vorbehalten ist. Die dargestellte Szene verweist in Kleidung und räumlicher Aufstellung der Beteiligten auf eine Zeremonie, die ›Einzug-in-den-Ring-Zeremonie‹ (dohyō iri) genannt wird:39 Zunächst einmal wird das oben erwähnte Seil durch einen Yokozuna bei seiner individuellen dohyō iri Zeremonie getragen. Links und rechts vom Yokozuna sind zwei weitere sumōtori, der Tauwischer (tsuyuharai) und der Schwertträger (tachimochi), zu sehen, die beide ebenfalls kostbare keshō mawashi tragen, die zum mawashi des Yokozuna passen und diesem auch gehören. Rechts im Hintergrund steht der Schiedsrichter, der horizontal vor sich einen Fächer hält. Links findet sich überdies ein Shinto-Priester im weißen Gewand. Auch das Gebäude im Hintergrund (ebenso wie die Anwesenheit eines Shinto-Priesters, der entgegen der Bildunterschrift keine Funktion als Schiedsrichter innehat) verweisen auf eine dohyō iri-Zeremonie in einem Schrein.40 Auf dieser Photographie in Wildhagens Reisebeschreibung wird Sumo – und die mit der Kampfkunst verbundenen Rituale, das Zeremonielle – von den abgebildeten Männern in aller Ernsthaftigkeit verkörpert. Auf der eingangs besprochenen Photographie hingegen (Abb. 1) wird Sumo zum Schau-Kampf zweier Frauen im Übergang von Vormoderne und Moderne sowie als eine Konfrontation von Westen und Osten inszeniert. Durch die Tatsache, dass hier Frauen – eine so bezeichnete ›Starke Frau‹ und eine starke Frau – kämpfen (den Kampf zeichenhaft andeuten) werden zudem Norm- und Grenzüberschreitungen impliziert, die nicht zuletzt cues für den Kontext des sexualisierten weiblichen Körpers beinhalten. Was beide Photographien verbindet, ist, dass sie etwas Zur-Schau-stellen, ein ›Eräugnis‹, ein Spektakel, das im Sinne des spectaculum als spektakulär nicht nur für die westlichen Betrachtenden bezeichnet werden kann.41
4. Körper sehen, hören, riechen: das Spektakel
Als Spektakel im engeren Sinne, verstanden als »gewöhnlich« und auch im Sinne von »lärmscenen, […] wobei eine volksmenge mit lärmen und schreien antheil nehmend gedacht wird« (Deutsches Wörterbuch Bd. 16; Sp. 2131) müssen dann die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Japan immer noch stattfindenden Frauen-Sumokämpfe bezeichnet werden, von denen in der Reisebeschreibung Max Dauthendeys ein Zeugnis abgelegt wird, das hier abschließend noch in Augenschein genommen werden soll:
In der Theaterstraße von Yokohama stand eine Ringerbude, und die Menschenmasse drängte hinein von der Gasse. / Es waren nackte ringende Frauen zu schauen. Ich trat ein in das Zelt. Es war nachmittag, unter der grauen Leinwand großer Andrang / […] Um eine erhöhte Bretterbühne, eine breite, standen die Leute im Kreise von jeder Seite. / Kleine, nackte, fette Frauen kämpften schnaufend und paarweise. Die Kämpferinnen trugen nur einen Gurt um die Mitte (Dauthendey 1910, 414).
Sowohl der Austragungsort als auch die ganze Szenerie verweisen darauf, dass der Reiseschreiber Zeuge einer Form des Frauen-Sumo wird, die in der Moderne wiederholt verboten wurde (s.o.), hier aber in der von vielen Reisenden frequentierten Theaterstraße Yokohamas als Spektakel aufgeführt wird.42 Die Darstellung lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um ein Ereignis für untere Volksschichten handelt, bei dem auch die Kämpferinnen unteren Volksschichten angehören: Als Zuschauer werden genannt: »Menschenmasse«, »Leute«, »Kulimenge« (es wird nicht deutlich, ob auch Frauen unter den Zuschauern anwesend sind), als Austragende: »kleine, nackte, fette Frauen«, »nackte Kämpferinnen«, »Weiblein«. Etwas Mysteriöses, Geheimnisvolles, wie bei den kämpfenden »Damen« in Kyoto gibt es hier nicht; nichts muss erst enthüllt werden, alles ist den Blicken dargeboten, alles ist zu sehen, – kein Wundern, kein Staunen. Das Kampfgeschehen als nacktes, körperliches Geschehen, der Schaulust dargeboten, steht im Mittelpunkt:
Das schwitzende Fett auf jedem Kämpferinnengesicht und auf den Leibmuskeln wurde von den ringenden Fäusten umpackt. Aber das Fett entglitt, und man hörte fortwährend, wie im Takt, / Das hohle Schlagen von Handflächen auf Rücken, Schenkel, Magen und von nackter Sohle den klatschenden Schritt. / Bis endlich eine ungeduldig, mit tiefem Bücken den Kopf untertauchend und zum Zustoßen brauchend, die andre umwarf auf den Rücken / Und beide sich am Boden wälzten, ähnlich zwei weißen Fettstücken, dabei vor Wut rauchend und wie Katzen pfauchend (ebd., 414f.).
Die Soundscape ist konkret körperlich und onomatopoetisch gestaltet: der Reiseschreiber hört hohles Schlagen, klatschende Schritte. Auch hier hört er tierische Laute (»wie Katzen pfauchend«), worin sich gängige rassistische Topoi aus der Beschreibung anderer Kulturen mit westlichen misogynen Tieranalogien mischen. Als Kampf- und Körpertechniken werden benannt: umpacken, schlagen, bücken, untertauchen, zustoßen, umwerfen, wälzen. Auffallend sind in der Darstellung vor allem die Verfahren zur Herstellung der Augenscheinlichkeit, der evidentia: Die weiblichen Körper sind den grenzüberschreitenden Blicken nicht nur der ›Menschenmasse‹ ausgesetzt, sondern nicht zuletzt auch denen des Reiseschreibers und der Lesenden, indem die Körper auch hier wieder fragmentiert und in Details zerlegt werden: ›Fett, Leibmuskeln, Fäuste, Handflächen, Rücken, Schenkel, Mägen, Sohlen, Kopf, (Kämpferinnen-)Gesichter‹.43 Zwei Elemente sind in dieser Beschreibung sehr dominant, das Fett und der Schweiß. Die Kämpferinnen werden in der Beschreibung durch die Setzung von Vergleichspartikeln zu Körpern, die jeglicher Subjekthaftigkeit enthoben sind: »ähnlich zwei weißen Fettstücken«, später heißt es »gleich Bällen aus Menschenfleisch«. Die körperliche Stärke der, auch was den Körperumfang betrifft, gewichtigen männlichen sumōtori und der berühmten und gefährlichen ›Starken Frauen‹ ist offenbar etwas anderes als das, was das »Fett« der ringenden Japanerinnen anzeigt, die deutlich den unteren Klassen angehören und im Kontext eines Volksspektakels »schnaufend und paarweise« kämpfen.
Als besonders aufschlussreich im Kontext der sozialen und kulturellen Distinktion erweist sich dann die Körperflüssigkeit, der Schweiß, und seine sensorische Perzeption. Dass Schweiß und die unterschiedlichen – vor allem erotischen – Semantisierungen von Schweiß Anlass für interkulturelle Irritationen geben können, wurde erst kürzlich wieder deutlich. Unter dem Titel »Stinkt so schön nach Schweiß. Wie ein deutscher Baumarkt die asiatische Welt verärgert« berichtete die Wochenzeitschrift Die Zeit am 4. April 2019 von einem Werbevideo und seinen Folgen.44 Der japanische Autor MORI Ōgai schreibt im Verlauf seines Aufenthaltes in München am 15. April 1887 ein Gedicht, das eine zunächst keusch anmutende Begegnung zwischen einem Japaner und einem deutschen »Mädchen« auf dem Tanzboden beschreibt, und in dessen 4. Strophe es heißt: »Keine Zeit zu ordnen / das goldene Haar / zart duftend dringt / Schweiß durch das leichte Gewand / das Stück naht dem Ende / wie schwer doch der Abschied« (Mori 1992, 185). Die sexuell aufgeladene Situation wird hier u.a.45 in der olfaktorischen Wahrnehmung des Schweißduftes ausgedrückt, der, eher erwünscht als abstoßend, als Substitut für eine erotische Verbindung steht. Auch die Sumo-Kämpferinnen in der Ringerbude in Yokohama schwitzen, ihr Schweiß ist Teil des Spektakels und dient der erotisierenden Unterhaltung der Zuschauer: »Ringsum stand die Kulimenge, dicht Bein an Bein, grinsend wie Masken und Fratzen. Und mit Wohlgenuß sogen die Männer die Schweißluft der kämpfenden Frauen ein« (ebd., 415). Die Einverleibung des Geruchs der kämpfenden Frauen durch die ›Kuli‹ ist ähnlich und doch ganz anders als der Schweiß des tanzenden deutschen »Mädchens«, der »zart duftend« durch das »leichte Gewand« in die Nase des japanischen Studenten dringt.
Und der Reiseschreiber? Auch die »Damen« in der Butokuden in Kyoto haben sich – so schreibt er, »von den erhitzten Gesichtern […] den Schweißdampf« abgewischt (ebd., 358). Von olfaktorischer Wahrnehmung seinerseits ist hier jedoch keine Rede – dies ist umso prägnanter, als in der großen Halle nicht nur Frauen intensiv naginata trainierten, sondern direkt daneben Männer jūjutsu. Die unterschiedlichen Markierungen der sensorischen Wahrnehmung dienen hier wohl insbesondere der sozialen Distinktion: Im Blick sind in dieser Ringerbude in Yokohama keine ›bewegenden Körper‹ von hohem Stand, auch keine Japanerinnen, wie sie den exotisierenden Imaginationen der westlichen Betrachters entsprechen, sondern Kämpferinnen, die in mehrfacher Hinsicht kulturelle, körperliche und gender-Grenzen überschreiten:
Ich hörte diese pfauchenden Weiblein noch draußen in den Gassen, als ich das Zelt verlassen, lange in meinen Ohren rumoren / Und trug ihren Kampfgeruch unter meinem Nasenbein. Und ich brauchte viel kölnisch’ Wasser auf mein Taschentuch, um mich von ihrer Muskel-Inbrunst zu befrein (ebd., 415).
Der Höreindruck und der Geruch der weiblichen ›bewegenden Körper‹ der unteren Klassen penetriert die Sinne des Reiseschreibers, und er muss sich aufwendig von dieser Nähe, dieser sinnlichen Einverleibung befreien.
Bilder und Texte stellen den Betrachtenden und Lesenden Körper vor Augen, die sowohl imago sind als auch Imaginationen und Narrationen. Eine rückwärtige Verlängerung zu dem, ›was war‹, ist nicht möglich. Was wir sehen und was wir erlesen, sind Gestaltungen, Bearbeitungen und Überformungen von Blicken anderer auf ›bewegende Körper‹ Anderer. Diese Blicke haben immer schon (kulturelle und persönliche) Bedeutung und sind als Wahrnehmungen, wie Alva Noë schreibt, »not something that happens to us, or in us. [Perception] is something we do« (Noë 2005, 1).
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1 https://www.fscclub.com/history/fame-strong‑e.shtml. Dort wird als Bildquelle angegeben: https://sport.ohtuleht.ee/350798/enne-barutot-hullutas-jaapanlasi-eesti-naine.
2 Zu Anette Busch ist sowohl in der deutschsprachigen als auch in der japanischen Sportgeschichte nicht viel bekannt (z.B. Petrillo 2018; vgl. auch: http://www.historyoffighting.com/the-blog/anette-busch-female-sumo-wrestler sowie https://www.openfit.com/9‑inspiring-strongwomen-of-history). Die wenigen Quellen, die über das Internet zugänglich sind, sind vornehmlich in estnischer Sprache gehalten (https://sport.ohtuleht.ee/350798/enne-barutot-hullutas-jaapanlasi-eesti-naine). Bemerkenswert ist, dass der Beitrag zu Anette Busch auf dieser Seite mit dem Hinweis auf den männlichen estnischen Sumo-Ringer Baruto Kaito (Kaido Höövelson, 1984-) beginnt, der den zweithöchsten Rang (ōzeki) im Sumo erreichte und sich 2013 zurückzog. Busch begann ihre Karriere als Sportlerin und ging dann nach Russland, wo sie als ›Starke Frau‹ im Zirkus auftrat. Auf ihrer Flucht vor der russischen Revolution kam sie nach China und Japan, wo sie auch als Ringerin auftrat. Unter anderem unternahm sie mit ihrer Kollegin Maria Loorberg eine Tour durch Sibirien, China und Japan, auf der sie Show-Kämpfe und Vorstellungen als ›Starke Frauen‹ zeigten. Busch, die in ihrem Fach außerordentlich erfolgreich war, starb 1969. 1998 erschien ein Roman über ihr Leben in estnischer Sprache (Ehin 1998).
3 Erst im Jahr 1873 (Meiji 6) wurden der Gregorianische Kalender und die westliche Zeitordnung in Japan eingeführt.
4 Zu dieser Entwicklung am Beispiel des modernen Judo vgl. Niehaus 20193, 263–268.
5 Der Begriff ›Frühmoderne‹ verweist in der Regel auf die 2. Hälfte der Edo-Periode (1600–1867).
6 Vgl. Cuyler 1985, 90 sowie Pauly 2008, 18f. An dieser Reihung sprechender Namen hätte wohl auch Goethe seine Freude gehabt; siehe Schmiedt 2019, 107f., der in seiner ›Professorennovelle‹ auf Goethes fragmentarisches ›mikrokosmisches Drama‹ Hanswursts Hochzeit eingeht (Goethe [1775] 1921).
7 In der Yomiuri Shimbun (14.11.1890) wird diese Kleidung als knielange Unterhose (hanmomohiki) und fleischfarbenes Trikot (nikujuban) beschrieben; vgl. Ikkai 2013, 49. Pauly (2008) spricht hier von sarumata; vgl. ebd. 20.
8 Diese sind stark ›intertextuell geprägt‹, man könnte auch sagen, dass sie recht getreu eine – estnische – Quelle reproduzieren.
9 https://www.fscclub.com/history/fame-strong‑e.shtml. Der Text auf dieser Website ist eine Übersetzung der estnischen Site: https://sport.ohtuleht.ee/350798/enne-barutot-hullutas-jaapanlasi-eesti-naine).
10 Für das japanische Sumo in der frühen Shōwa-Periode (1926–1989) argumentiert Ikkai Chie, dass das Auftreten und die körperliche Erscheinung der Sumo-Ringerinnen dem dominierenden Bild der Frau in Japan deutlich widersprach und ordnet Frauen-Sumo dem zeitgenössischen hentai-(»Anomalie«-)Trend zu. So zitiert Ikkai aus dem Artikel »Aus dem Leben heutiger Marktschreier – Frauen-Sumo« (Gendai kōgushi seikatsu no uchi – onna zumō) in der Zeitschrift Gurotesuku (Januar 1930) in dem der (männliche) Autor, Matsuura Sensaburō (1905–1982), behauptet, er habe während einer Sumo-Veranstaltung erst durch das Tanzen und Singen realisiert, dass die Ringer tatsächlich Frauen waren. Er kann seine Irritation kaum verbergen und betont, dass ringende Frauen (entgegen der allgemeinen Erwartung) durchaus »reproduktionsfähig« seien (onna sumō datte, kodomo wa dekimasu yo), auch wenn diese verhältnismäßig wenig Interesse an Männern hätten (vgl. Ikkai 2013, 55–56). Die Legitimierung der Ringerinnen als ›Frau‹ innerhalb der normativ heterosexuellen Gesellschaft der frühen Shōwa-Zeit erscheint umso problematischer, als, so Matsuura, eine allgemeine Weisheit sage, dass Ringerinnen schwach werden, wenn diese eine Beziehung zu einem Mann haben (vgl. ebd., 56). Frauen-Sumo im Kontext der 1920er Jahre wurde 2018 auch in dem Film Kiku to girochin (Chrysantheme und Guillotine) des Regisseurs Zeze Takahisa verarbeitet.
11 Abbildungen finden sich u.a. bei Bickford 1994, 53; 145. In der deutschsprachigen Reiseliteratur aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert finden sich zahlreiche Verweise auf die als gering empfundene Körpergröße japanischer Männer. So ist z.B. in einem Text von Max Dauthendey von 1910 die Rede von »Männlein« und »Zwergen«. Weiter heißt es: »Neben diesen ersten winzigen Menschen, die ich von Japan sah, / Schienen wir Europäer wie vierkantige Riesen.« (Dauthendey 1910, 293).
12 Gerade auf dem Lande aber besaßen Frauenringkämpfe als Brauchtum und religiöse Rituale eine Tradition, etwa zum Herbeikämpfen oder ‑tanzen von Regen. Während die Frauen-Sumo-Truppen auf dem Land ihre Künste weitgehend ohne polizeiliche Eingriffe zeigen konnten, wurde 1890 der Auftritt einer Truppe im Ekōin im Tokyoter Stadtteil Ryōgoku (auch heute noch Heimat der professionellen Sumo-Ställe und des Sumo-Stadions) »als mit den guten Sitten nicht vereinbar verboten« (Pauly 2008, 19). Zu Beginn der Meij-Zeit wurde auch das Sumo der Männer (ebenso wie das Besuchen eines Sumo-Turniers) als aufklärungsfeindlich kritisiert, so etwa in der Zeitschrift Meiroku zasshi der tonangebenden intellektuellen Gesellschaft Meirokusha (vgl. Meiroku zasshi Nr. 68, 1874); dem gegenüber stand das Frauen-Sumo unter »direkter gesetzlicher Kontrolle« (Ikkai 2013, 46) und Verbote aufgrund von Unsittlichkeit (shūtai) finden sich in den verschiedenen präfekturalen »Verordnungen zur öffentlichen Moral« (Ishiki kaii jōrei) ab 1872 (siehe auch Ikkai 2013, 46–48). Das Sumo der Männer sollte erst rund 1883 erneut populär werden (vgl. Yumoto 1998, 284).
13 So etwa Josephine Blatt (Minerva, 1869–1923), Kate Roberts (Vulcana, 1874–1946), Laverie Vallee (Charmion, 1875–1949), Katie Brumbach (Sandwina, 1884–1952) oder Anette Buschs Reisegefährtin durch Asien: Maria Loorberg (1881–1922).
14 Siehe hierzu etwa Ikkai 2013, 51f., sowie Yomiuri Shimbun 22.3.1926 (Abendausgabe) und Tōkyō Asahi Shimbun 18.3.1926 (Abendausgabe).
15 Bildquelle: http://www.ra.ee/fotis/index.php/et/photo/view?id=108227. Mit Dank an die National Archives of Estonia; »Author specification: G. Kristjanson«.
16 Bildquelle: Privatbesitz.
17 Es ist eine Form von Gespräch, und das vorläufige Ergebnis dieses Gesprächs liegt hier vor, wobei die disziplinären Stimmen nicht an jeder Stelle zu unterscheiden sind. Versucht wurde immerhin, gängige Probleme des interdisziplinären Arbeitens zu vermeiden (zu ähnlich/zu fremd; Vereinfachungen/Verfälschungen; Missverständnisse/Selbstüberschätzungen; vgl. Vollmer 20132, 61). Es geht uns im Folgenden nicht um eine partielle Auflösung der Grenzen der Disziplinen oder um eine Addition disziplinärer ›Nice to Knows‹, sondern um notwendige Sättigung und Weiterung der disziplinären Perspektiven (v.a. im Bereich des Wissens) sowie um die Einordnung der Blicke der jeweils ›Anderen‹ (auch der anderen Disziplin). Als eine gelungene interdisziplinäre Arbeit bezeichnet Gerhard Vollmer die des Kulturanthropologen Marvin Harris. Dieser habe – allerdings in Personalunion – vielleicht das Rätsel gelöst, weshalb Juden und Muslims kein Schweinefleisch essen: Es sei auf ökologische Gründe zurückzuführen und, auf den Punkt gebracht, deshalb der Fall, »weil Schweine nicht schwitzen können!« [Herv. i.O.] (Vollmer 20132, 54). Die Verfasserin und der Verfasser dieses Beitrags können nicht darauf hoffen, zu ähnlich spektakulären Ergebnissen zu kommen. Zu ›Grundsatzfragen der Interdisziplinarität‹ vgl. Jungert 20132, 1–12.
18 Auch ausgefeilte Rechtfertigungsstrategien waren erforderlich. Isabella Bird, die u.a. Australien, die USA, Japan, China, Vietnam und Hawaii, nicht selten zu Pferd, bereiste, gab an, dass das Reisen für ihre – de facto – labile Gesundheit erforderlich war (vgl. Anderson 2006, 82f., auch Bird 2000 [1880], ix). Dies ist umso interessanter, als Polemiken gegen weibliches Reisen häufig auf die ›mangelhafte‹ körperliche (und seelische) Konstitution von Frauen verwiesen (vgl. Stamm, 2018, 179).
19 Bird bezeichnet sich selbst als »the first European lady who had been seen in several districts« (ebd., xix). Dennoch ging es wohl nicht nur Isabella Bird so, wie man ihrem 11. Reisebrief entnehmen kann: »Lady Parkes, on a side-saddle and in a riding-habit, has been taken for a man till the people saw her hair, and a young friend of mine, who is very pretty and has a beautiful complexion, when travelling lately with her husband, was supposed to be a man who had shaven off his beard« (ebd. [24. Juni 1878], 89).
20 Bird hinwiederum, als eine erfahrene britische Reisende, reagiert auf diese Form von Gender-Irritationen mit routinierter Gelassenheit und im unangefochtenen Bewusstsein ihrer kulturellen Überlegenheit. Die Frage »awoke my sympathy at once« (ebd. [1880], 146). Wenn wir im Weiteren auf Wahrnehmungseindrücke eingehen, die in (nach Gattungskonventionen und ästhetischen Erwägungen vielfach bearbeiteten) Reisetexten vermittelt sind, dann muss betont werden, dass diese in einem nicht zu klärenden Verhältnis zu denen der empirisch Reisenden stehen, weshalb im Folgenden – v.a. im Text Max Dauthendeys – von den Wahrnehmungen der ›Reiseschreibenden‹ (als mediale Figuren; vgl. Opitz 1997) die Rede sein wird.
21 Vgl. z.B. Fukuzawa 1971, 135, 140 oder Beasley 1995, 77; auch Mori 1992.
22 Vgl. allgemein zu den ›Wahrnehmungen fremder Körper‹ Gernig 2001. Nicht zuletzt sind die sensorischen Perzeptionen der Reisenden auch von den eigenen Befindlichkeiten und leiblich-körperlichen Erfahrungen in der unvertrauten Umgebung geprägt; vgl. dazu Maruo-Schröder/Schaffers i. Vorb.
23 Der Kimono wurde im Verlaufe des Japonismus innerhalb der europäischen Kunst dann mehr und mehr als eine Art Negligé imaginiert, dies jedoch v.a., wenn er von europäischen Frauen getragen wurde; vgl. Schaffers 2006, 114–120.
24 Zu den Disziplinierungen der Körper und Körpertechniken von Frauen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Bereich vgl. Schrott 2005.
25 Die Reise gehörte zu den sogenannten ›Cookparties‹ und war eine Ostasien-Gesellschaftsreise der Agentur Thomas Cook. Zu Dauthendeys japanbezogenem Werk vgl. Schaffers 2006, 149.
26 Vgl. dazu auch Maruo-Schöder/Schaffers i. Vorb.
27 Der Stand der Samurai wurde in Japan bereits 1876 abgeschafft. Die Bezeichnung kann hier eher als Markierung ›der Japaner(innen)‹ als Krieger(innen) sowie u.U. als ein Verweis auf einen höheren Stand gewertet werden.
28 Die bei Dauthendey zu findende stereotypisierende Vorstellung einer Klassenphysiognomie findet sich natürlich auch bei japanischen Reisenden, sowohl beim Blick auf ihre eigenen Landsleute als auch beim Blick auf den westlichen Anderen: »Fürst Konoe ist von recht fülligem Körperbau und in seiner Sprechweise ausgesprochen lebhaft. Man kann es kaum glauben, daß er aus einer adeligen Familie kommt« (Mori 1992, 141); und so überrascht es Mori auch nicht, dass der Fürst körperlichen Betätigungen wie einem Ringkampf und Wettläufen frönt, die seinem Stand eigentlich nicht angemessen sind (vgl. ebd., 141f.). Auch der europäische Adel ist für Mori deutlich über die Physiognomie zu erkennen, so schreibt er über den russischen »Staatsrath von Jusevovitsch«: »Er ist von so zarter Statur, wie man sich einen Petersburger Adligen vorstellt« (ebd., 214, vgl. auch 208f.).
29 Hier kollidieren u.a. tradierte Topoi der Fremdstellung (Japan als der ›andere Stern‹, Tieranalogien) mit den Imaginationen von Begehren (Brust, Liebesgeschlecht) und Kampf – manches könnte auch dem (selbst) auferlegten Zwang zu Versbildung, Rhythmus und Reim geschuldet sein.
30 So fand etwa am 1. Mai 1906 im Yasukuni-Schrein eine Einschreinungszeremonie für die Gefallenen des Russlandkrieges statt.
31 Allerdings nicht nur aus Port Arthur, wie der Text suggeriert, sondern von verschiedenen Kriegsschauplätzen wie Mukden, Yalu und Nanshan. Die Ausstellung umfasste »281 pieces of field artillery, 178 pieces of garrison artillery, 1235 swords and lances, 70.000 rifles, over 2.000 wagons, and a huge hoard of ammunition« (Fujitani 1998, 134f.).
32 »Seine Majestät der Kaiser besichtigt Kriegsbeute« (Senrihin tenkan) (1.5.1906, Morgenausgabe, 1); »Ihre Majestät die Kaiserin besichtigt Kriegsbeute« (Kōgōgū senritsu goran) (3.5.1906, Morgenausgabe, 2). Siehe zu den Feierlichkeiten und der Kriegsbeute-Ausstellung, auch im Yasukuni-Schrein, zudem die Morgenausgaben der Asahi Shimbun vom 30. April (10), 2. Mai (6), 4. Mai (2) und 5. Mai 1906 (2).
33 Wobei auch die Grausamkeit des Krieges in – manchmal kruden – Bildern heraufbeschworen wird. Diese Schilderung ist durchtränkt mit nationalkulturellen Stereotypen, die hier jedoch nicht von Belang sind.
34 Vgl. Gansel und Ächtler, die unter ›Störung‹ »Phänomene [fassen], die als auslösende Faktoren individuellen wie gesellschaftlichen Entwicklungs- bzw. Wandlungsprozessen vorausgehen« (Gansel/Ächtler 2013, 13).
35 Wildhagen war vor seiner Japanreise Hauptgeschäftsführer der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und auch anschließend wieder für diese tätig, diesmal als Referent für Forschungsstipendien. Später wurde er dann Vizepräsident der daraus entstandenen DFG (1934–36). Obgleich Wildhagen seit 1933 Mitglied der NSDAP und wohl auch der SA war, führten interne Konflikte zu seiner Entlassung (vgl. Grüttner 2004, 183).
36 Interessanterweise schreibt er: »Jujitsu heißt in Japan ›Judo‹« (ebd., 121, auch als Bildunterschrift 144/145: »Judo (Jujitsu)«. Tatsächlich wurde in den Lehrplänen für Mittelschulen ab 1925 der Begriff ›jūjutsu‹ ersetzt durch ›jūdō‹ (vgl. Niehaus 20193, 59).
37 Gerade in den 1920er Jahren, die Irie (1986) als erste Phase der Faschisierung der japanischen Gesellschaft kennzeichnet (vgl. ebd. 35ff.), findet sich dann eine Stärkung militärischer Gymnastik und militärischer Übungen, die ab 1925 zu einer Abordnung aktiver Armeeoffiziere an Mittelschulen und einer Trennung von militärischer Gymnastik und Leibesübungen führen sollte. Das Ziel dieser Stärkung der militärischen Ausbildung an Schulen war, neben der Steigerung der Wehrhaftigkeit, die des Patriotismus und die Ausbildung von Kampfgeist. So ist Wildhagens Beobachtung sicherlich zu unterschreiben, wenn er folgert: »Ganz offensichtlich ist es das Bestreben der Japaner, Volksgesundheit und Wehrhaftigkeit durch die körperliche Ertüchtigung der Frau zu heben« (Wildhagen 1929, 115).
38 In: Wildhagen 1929, 321. Wir danken dem Bertelsmann Unternehmensarchiv für die freundliche Genehmigung.
39 Zur dohyō iri-Zeremonie siehe Cuyler 1985, 176–179.
40 Für den Zeitraum zwischen 1923 und 1926 (der angenommenen Zeit der Entstehung des Photos) finden sich nur sechs Ringer im Rang des Yokozuna. Der hier abgebildete Ringer dürfte der 28. Yokozuna Ōnishiki Daigorō (1883–1943) sein, der 1918 in den Rang des Yokozuna aufstieg und sich 1923 zur Ruhe setzte. Ab 1903 war Ōnishiki Ringer im Ōgawa beya in Osaka und auf Osaka verweist auch die Stickerei auf den mawashi der Ringer.
41 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm; Lemma »spektakel, m. , in älterer sprache n., schauspiel, schaustellung, aufsehen erregender vorfall, dann schimpf, schande, zuletzt lärm. im 16. jahrh. aus lat. spectaculum anblick, schaustück, schauspiel (zu spectare, verb.)«. http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode= Vernetzung&lemid=GS33799 — XGS33799.
42 Bezeichnenderweise ist das kurze Kapitel (ebd., 414f.) mit dem Titel »Japanische Ringer« und nicht etwa ›Japanische Ringerinnen‹ überschrieben.
43 Bemerkenswert ist, dass in dieser Fragmentierung der weiblichen Körper die Brüste keine Erwähnung finden. So wird das eigentlich Skandalöse dieser sportlichen Darbietung im Text scheinbar ausgespart, eigentlich wird es aber der Imagination der Lesenden überantwortet.
44 Mangold 2019, auch unter: https://www.zeit.de/2019/15/hornbach-baumarkt-werbekampagne-rassismus-sexismus-asien (zuletzt abgerufen am 29.4.2019).
45 Verstärkt wird dies noch durch das ungeordnete Haar, welches in Japan nicht nur für einen Zustand geistiger Umnachtung steht, sondern eben auch auf den sexuellen Akt verweist, wie etwa in den folgenden Zeilen des Dichters Bonchō, die in Matsuo Bashōs Sarumino zu finden sind: »Völlig aufgelöst / fährt sie mit ihrem Kamm / durchs zerzauste Haar« (Bashō 1994, 151).